Nicht nur im Kampf sondern auch im friedlichen (z.B. im sportlichen und musischen) Wettstreit wird Nike um den Sieg gebeten. Damit verkörpert die Göttin den Wunsch nach Erfolg oder den Erfolg selbst.

Geflügelter Erfolg

 

nike

Die Göttin Nike wird vor allem von Hesiod erwähnt. Sie ist die Tochter der Styx und des Titanen Pallas, bzw. wird in einem orphischen Hymnus Ares als ihr Vater genannt. Sie hat eine Reihe Geschwister – Bia (Gewalt), Zelos (Wetteifer); Kratos (Macht), Vis (Kraft), Invidia (Neid, Missgunst, Eifersucht), Potestas (Macht, Amtsgewalt) – all diese Geschwister sind offenbar in irgendeiner Art und Weise am Zustandekommen eines Sieges beteiligt.

Weiters zählen auch noch Fontes und Lacus, das sind alle Quellen und Seen sowie das Meeresungeheuer Scylla zu den Geschwistern der Nike.

Ihr Einschreiten im Kampf gegen die Titanen

Gemeinsam mit ihrer Mutter Styx und ihren Geschwistern unterstützt sie Zeus in seinem Kampf gegen die Titanen.

In der griechischen Mythologie gab es lange vor der Entstehung der Menschheit einen elfjährigen Krieg zwischen den beiden Göttergeschlechtern, der Titanomachie genannt wird. Die Titanen vom Berg Othrys, angeführt von Kronos kämpften gegen die Kinder von Kronos und Rheia unter der Führung des Zeus. Die Partei des Zeus gewann diesen Kampf, vor allem auch durch die Hilfe der Styx und der Nike.

Damit erkämpfte Nike sich das Recht auf einen Platz auf dem Olymp. Es gibt eine sehr anschauliche Beschreibung des griechischen Schriftstellers Nonnos, in der Nike in flammender Rede Zeus zum Kampf gegen die Titanen aufruft. Sie ist es auch, die ihm die Waffen bringt und in der Schlacht im rechten Augenblick sogar einen Schild schützend über den Obergott hält.

Als Siegesgöttin greift sie auch aktiv ins Kampfgeschehen ein und verlässt das Schlachtfeld mit blutbesudeltem Gewand.

Der Wunsch nach Erfolg

Aber nicht nur im Kampf, sondern auch im friedlichen (z.B. im sportlichen und musischen) Wettstreit wird Nike um den Sieg gebeten. Damit verkörpert die Göttin den Wunsch nach Erfolg oder den Erfolg selbst.

Als personifizierter Erfolg begleitet sie andere Gottheiten wie Athena, Zeus, Apollon, Dionysos und Nemesis und ist damit – wie auch Eros – der Vervielfältigung fähig, ein Ausdruck der Intensität des Sieges.

Siegeskranz und Palmblatt

Dargestellt wird Nike meist als schlanke, elegante Frau, deren hauchdünnes Gewand im Wind flattert. Sie ist meist geflügelt und hält einen Siegeskranz aus Lorbeerblättern in ihrer Hand und oft auch über das Haupt eines „Helden“ .In ihrer anderen Hand sieht man oft einen Palmzweig, der dem Gott des Frühlings, des Lichts und des Neubeginns Apollon geweiht ist.

Die griechische Bezeichnung der Dattelpalme ist „phoenix“, was auch auf den gleichnamigen mythologischen Vogel hinweist. Dieser ist ein Symbol der Auferstehung („Phoenix aus der Asche“). Die Bedeutung der Palme als Zeichen des Sieges, des Triumphes, der Freude und der Auferstehung setzt sich auch in der römischen Kultur fort. Über die römische Kultur fand die Palme und damit der Palmwedel aus Auferstehungszeichen Eingang in die christliche Symbolik (Palmsonntag).

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Als Jesus auf einem Esel in Jerusalem einzog, wurde er mit Palmwedeln begrüßt. Im Judentum gilt der Palmwedel als ein Zeichen der Unabhängigkeit Israels. Die Darstellung mit Kranz und Palmblatt ist auch für die von Nike abgeleiteten Friedensengeln auf Siegessäulen üblich. Darstellungen, die ganz eindeutig Nike als weibliche Gestalt zeigen, wurden im Christentum zum Heiligen Georg uminterpretiert.

So kann man öfter Reliefs oder Figuren sehen – geflügelt mit Kranz und Palmwedel, das Gesicht zeigt unverkennbar weibliche Züge, unter dem Gewand sind Brüste erkennbar – als Inschrift findet sich der Heilige Georg, dessen Sieg jener über die Drachen war.

Als Drachenkraft wird ja auch immer die (weibliche) Erdkraft bezeichnet. Georg (in dessen Name ja „Geo“ steckt, was von der Urgöttin Gaia abgeleitet ist), hat es in der christlichen Lehre offenbar geschafft, die Erdkraft zu besiegen oder zumindest den Männern zu unterwerfen. Wie spannend, dass man sich in seinen Darstellungen gerade das Bild der weiblichen Nike ausleiht.

Den Tapferen „fliegt“ Nike als Sieg zu

Das wichtigste Attribut der eilenden Göttin Nike sind allerdings die Flügel. Den Tapferen „fliegt“ der Sieg förmlich zu. Daher wendet sich während einer Schlacht oftmals auch das Glück. So sollen die Kriegsparteien förmlich gesehen haben, wie Nike von einer Seite zur anderen fliegt. Aus diesem Grund gibt es auch flügellose Darstellungen der Nike, offenbar um sie nach einem errungenen Sieg daran zu hindern, wieder davon zu fliegen. Häufig wurden zum Gedenken an große Siege nämlich Denkmäler und Statuen zu Ehren der Nike errichtet.

Allerdings:Tapferkeit hat seinen Ursprung in stetiger Übung und Aufbau von Kraft. Nike schaut – auch bei sportlichen Wettkämpfen – genau darauf, wer sich den Sieg aufgrund von beharrlichem Training und Übung verdient hat. Diesen SportlerInnen und KämpferInnen steht sie dann auch bei.

Oft tragen Zeus oder Athena das Abbild der Nike dabei auf der Hand, um so zu zeigen, dass jene Gottheiten ihren Sieg nur durch die Macht und Kraft von Nike erringen können. Manchmal wird Nike auch als eine Form der Athena erwähnt. Wie wertvoll die Gunst der Göttin war zeigt sich daran, dass Statuen der Göttin, oft aber mindestens die Flügel, vergoldet wurde.

In einer Erzählung des griechischen Dichters Nonnos trägt Nike – ähnlich dem Götterboten Hermes – auch geflügelte Sandalen.

Stürmt über das Wiener Parlament

So findet man sie auch als Sieg und Macht verleihende göttliche Gestalt in der ausgestreckter Hand der Pallas Athene vor dem Parlamentsgebäude in Wien. Wie eine Trophäe symbolisiert die goldene Figur der Nike die Macht der Hüterin des Parlaments, hier soll sie der Demokratie zum Erfolg zu verhelfen.

Auf dem Dach des Wiener Parlaments trifft man Nike gleich achtfach an, als kraftvoll dynamische Lenkerin der Pferdegespanne, die über den Eckrisaliten der beiden Säle des Abgeordnetenhauses und des sogenannten „Herrenhauses“ in heftiger Bewegung dahinstürmen.

Nike trägt auf Darstellungen auch immer wieder die Kithara/Lyra, ein Saiteninstrument ähnlich einer Leier, auf der bei festlichen Anlässen Lobeshymnen gesungen wurden, eine Phiale (Trinkschale für das Tankopfer), ein Krug (Oinochoe), eine Blume, eine Fackel, eine Schärpe oder ein Weihrauchgefäß (Thymaterion).
All diese Symbole deuten auf einen Opferkult zu Ehren der Göttin hin. Zentrum ihres Kultes in Athen war die Akropolis. Ihr römisches Pendant als Sieges- und Erfolgsgöttin ist Victoria.

Brautjungfer und Ehestifterin

Nike ist aber nicht nur eine beherzte Kämpferin. Auch in Friedenszeiten hat sie eine wichtige Funktion: Hier tritt sie – zur Freude aller Beteiligten – als Brautjungfer und Ehestifterin auf.

So beschreibt Nonnos: „Nike nahte, dem Zeus zu Gefallen, schwirrend auf Flügelsandalen; tätig als Brautjungfer, jauchzte Kadmos sie zu, dem tapferen Kämpfer des Zeus; und am Brautbett sang sie, mit reiner Mädchenstimme, das Hochzeitslied, kreiste dabei im Tanzschritt, in kunstvoll geschlungnen Figuren, und regte sittsam die Flügel neben dem heitren Geschwirr der Eroten.“ *

Von antiken Vasenbildern bis zu modernen Sportschuhen

Vor allem in den bildenden Künsten ist Nike eine beliebte Figur, die in vielen Epochen häufig dargestellt wurde. Ihr Bildnis taucht auf antiken Vasenbildern ebenso auf wie die stilisierte Abbildung ihres Flügels auf Sportschuhen der Neuzeit.

Nike findet man in der Reliefplastik, in der Toreutik wie auch als Architekturelement. Der Bildhauer Archermos aus Chios schuf im 6. Jhdt v.u.Z.. die erste geflügelte Nike mit vier Sichelflügeln, Diadem im Haar, langem Gewand und geflügelten Schuhen. Im Laufe des 5. Jhdt v.u.Z. avanciert Nike schließlich zum offiziellen Siegesmonument.

Das wohl bekannteste erhaltene Beispiel ist „Nike von Samothrake“, die sich heute im Louvre in Paris befindet. Diese Skulptur wurde im Heiligtum der Kabiren auf der griechischen Insel Samothrake gefunden. Entstanden ist sie vermutlich um 190 v.u.Z. auf Rhodos. Späteren Engelsdarstellungen, vor allem in der Renaissance orientierten sich häufi8g an die antiken Darstellungen der Nike.

Auch in der neuzeitlichen Kunst hat sie ihren Stellenwert. Neben ihren – weiter oben bereits erwähnten Präsenz – beim Wiener Parlament steht sie in München als „Friedensengel“ auf der Siegessäule hoch über der Isar, in Berlin auf dem Olympiagelände von 1936 und an der „Solidarnosci“-Allee unweit der Warschauer Altstadt.

Die Göttin, die mit dem „Swoosh“ beflügelt

Ihre mystische Präsenz ist dank der nach ihr benannten Sportschuhe immer noch spürbar. Noch heute soll sie damit Athletinnen und Athleten zum Sieg über ihre Gegner beflügeln. Der „Swoosh“ – das Nike Company Logo wurde 1971 von der Grafikdesign-Studentin Carolyn Davidson entworfen und – etwas später als der aktuelle Markenname „Nike“ – als Logo eingeführt. erschaffen. Er stellt den Flügel der Göttin Nike dar.

Im Lauf der Jahrzehnte hat sich dann Nike zu dem Symbol einer Sport-Ära entwickelt. Ob die Siegesgöttin der jungen Grafikdesign-Studentin zu Erfolg verholfen hat, darüber gibt es nur Mutmaßungen. Für ihren Entwurf erhielt Carolyn Davidson jedenfalls nur 35 Dollar. Sie arbeitete ab diesem Zeitpunkt weiter als Designerin für die Sportschuh-Firma für 2 Dollar pro Stunde bis das Unternehmen, aufgrund der seines Wachstums, eine Full-Service-Agentur benötigte.
12 Jahre später, im September 1983, erhielt Carolyn Davidson einen Anruf und wurde zu einem Treffen mit ehemaligen KollegInnen und dem Firmenchef Philip Knight eingeladen. Als sie dort ankam wurde sie mit einem großen Empfang begrüßt, erhielt einen goldenen Swoosh Ring mit einem Diamanten, eine Urkunde und Aktien der Firma Nike.

Über den Wert der Aktien wird bis heute noch gemunkelt. Noch heute vereinen sich Menschen, die Siege erringen wollen, mit der Göttin Nike – und sei es nur, indem sie Schuhe mit ihrem stilisierten Flügel als Logo tragen.

Was sind unsere Siege?

Um sich Nike gewogen zu machen, empfiehlt es sich allerdings, darüber im Klaren zu sein, was Sieg und Erfolg in einer persönlichen, individuellen Situation bedeutet und auch nach sich zieht:

  • Der Triumph über jemanden anderen und damit gleichzeitig dessen Niederlage?
  • Die Überwindung eigener Grenzen?
  • Die Herrschaft über etwas, das Widerstand leistet?
  • Die Unterdrückung und Ausbeutung von Schwächeren?
  • Oder der Sieg über Armut, Kriege, Krankheiten, Elend, Gewalt und Verbrechen?

Diese Fragen scheinen in unserer heutigen Welt, die von „noch schneller“, „noch höher“, „noch weiter“ beherrscht ist, wichtiger denn je. Sieg ist ja nicht nur eine militärische, politische, ökonomische oder sportliche Kategorie, sondern auch eine moralische. Ist es nicht so, dass wir die kleinen Erfolge und kleinen „Siege“ des Alltags, des täglichen Kampfs mit den Herausforderungen des Existierens oft gar nicht so wertschätzen?

Gerade hier lohnt es sich, sich mit der Kraft der Nike zu verbünden. Wenn es um körperliche und geistige Siege über uns selbst geht, mit denen wir über unsere Mittelmäßigkeit hinauswachsen. Sie zur Hilfe zu rufen, wenn es um Win-Win-Situationen gehen soll, bei denen alle Beteiligten siegen können. Siege sind meistens ambivalent.

Das Gegenteil des unterdrückenden Sieges ist der befreienden Sieg. Jener Sieg der uns beispielsweise dazu verhilft, einschränkende Glaubenssätze zu überwinden, kann uns sozusagen für einen Augenblick über Raum und Zeit erheben, um uns frei zu fühlen.

Das verleihen uns die Flügel der Nike.
Nicht von ungefähr ist die griechische Gottheit des Sieges weiblich. Wenn wir sie rufen und um Hilfe bitten, dann sollten wir patriarchale Ideen und Auslegungen von „Sieg“ und „Erfolg“ zumindest sehr überdenken …

auch: Niki, Nyke, Nykie, Nice

 

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